Das Projekt mit dem Titel „Die Vertreibung von Gerta Schnirch“ kombiniert verschiedene Darstellungsformen der Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei zwischen 1945 und 1947. Ziel der Verbindung von Buch, Theateraufführung und Webplattform ist es, die Probleme, Konflikte, Leiden und vor allem die Uneindeutigkeit dieses historischen Ereignisses so relevant wie möglich darzustellen. Grundlage und symbolischer Hintergrund der gesamten Erzählung war die Geschichte von Gerta Schnirch, die in dem preisgekrönten historischen Roman „Gerta. Das deutsche Mädchen“ der Schriftstellerin Kateřina Tučková dargestellt wurde. Gerta ist eine junge Heldin aus einer in Brünn lebenden deutsch- tschechischen Familie, die mit ihrer Tochter Barbora versucht, im turbulenten 20. Jahrhundert zu überleben. Die komplexe Geschichte einer scheinbar gewöhnlichen Frau beschreibt, was sie für ihre halb tschechische und halb deutsche Abstammung erleiden muss. Zum Beispiel ist sie gezwungen, an der Vertreibung der Deutschen aus Brünn teilzunehmen. Gerade der sogenannte Brünner Todesmarsch, der zwischen dem 30. und 31. Mai 1945 stattfand, war ein absolut verwerflicher Akt, durch den Hunderte von Menschen leiden und sterben mussten. Durch seinen Wesenskern wurde er zum Schlüssel zur Beschreibung der gesamten ethnischen Säuberung, also der nationalen Vereinheitlichung der Tschechoslowakei.
Das komplizierte Leben der jungen Gerta faszinierte die Regisseurin Diana Nečásek Šoltýsová so sehr, dass sie beschloss, das Stück „Die Vertreibung der Gerta Schnirch“ für das Jára Cimrman Theater zu inszenieren. Die Premiere fand am 29. und 30. November 2019 statt. Mit Hilfe einer fast rein weiblichen Besetzung betont die Regisseurin die Gewalt, die verschiedene Regime gegen Frauen zu unterschiedlichen Zeiten ausübten. Das sich ändernde Regime trägt dennoch das gleiche Gesicht und wird absichtlich von nur einem Schauspieler dargestellt. Die Theateraufführung, die originalgetreu auf dem Buch basiert, zeigt die dramatische Geschichte des zweiten und dritten Drittels des 20. Jahrhunderts. Der Betrachter verfolgt somit das Schicksal Gertas von der ersten Tschechoslowakischen Republik über das Münchener Abkommen, das Protektorat, die sowjetische Befreiung, den Todesmarsch nach Pohořelice bis zum „siegreichen Februar“, zur Kollektivierung, zum Prager Frühling, zur Normalisierung, zur Samtenen Revolution und der Transformation in den 1990er Jahren.
In Ermangelung einer innovativeren Darstellung der Vertreibung der Deutschen beschloss Jarmila Štuková, dieses Thema auch auf einer unorthodoxen Website zu präsentieren. Sie lud die bildenden Künstler Patrik Singer und Ondřej Karásek ein, an ihrer visuellen Umsetzung mitzuarbeiten. Inhaltlich war der engste Mitarbeiter der Historiker und Germanist der Philosophischen Fakultät, David Sogel. Weitere wichtige Berater und Ansprechpartner waren neben Kateřina Tučková auch die Historiker David Kovařík, Jakub Rákosník, der Fachberater Matěj Spurný oder die Zeitzeugin des Brünner Marsches Marie Schrimpelová. Die hier vorgestellten fünf Abschnitte sollen nicht die Vertreibung der Deutschen in ihrer historischen Gesamtheit darstellen. Ziel ist es, dem Betrachter die Problematik näherzubringen, weiter zu erläutern, was er in dem Buch gelesen, in der Schule gehört und auf der Theaterbühne gesehen hat. Idealerweise sollte er durch dieses eine Ereignis zu einer kritischen Reflexion der gesamten Geschichte gebracht werden. Unser Wunsch ist es, dass der Betrachter die Möglichkeit hat, sich in diesem Thema weiterzubilden und zu orientieren. Daher bieten wir für jeden Abschnitt zusätzliche Fachliteratur unter dem Text an, die bei Interesse für diese Problematik weiterhelfen soll.
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatten alle Nationalitäten, die auf dem Gebiet der heutigen Tschechischen Republik und der Slowakischen Republik lebten, ihren eigenen Traum von Demokratie oder allgemein einer anderen Gesellschaftsform. Vor und während des Ersten Weltkriegs glaubten die meisten deutschsprachigen Bewohner Österreich-Ungarns, dass sie sich mit dem großen und bewunderten Deutschen Reich verbünden könnten, um ein Großdeutsches Reich zu schaffen, das einerseits mit den von Russland vertretenen Slawen und andererseits mit dem mächtigen Frankreich und Großbritannien konkurrieren könnte. Obwohl dieser Traum durch einen erfolglosen Ersten Weltkrieg und die anschließende Schaffung von Nationalstaaten wie der Tschechoslowakei, Polen, Ungarn, Österreich usw. vereitelt wurde, hofften viele weiter.
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Bei der Volkszählung von 1921 bekannten sich genau 3 123 568 Einwohner zur deutschen Nationalität. Zum Vergleich: Die sogenannte tschechoslowakische Nationalität gaben 8 760 937 Menschen an, obwohl jeder wusste, dass zahlenmäßig weniger Slowaken gab als Deutsche. Deshalb wurde das Konstrukt dieser tschechoslowakischen Nationalität geschaffen. Als weitere große nationale Minderheiten sind die ungarische, russische, jüdische und polnische Nationalität zu nennen. Viele Deutsche empfanden eine starke Abneigung gegen die neu entstandene Tschechoslowakei, es muss aber festhalten werden, dass dies eher Deutsche waren, die im sogenannten Sudetenland lebten. Sie beschlossen, sich dem neuen Österreich anzuschließen und bildeten bereits 1918 die autonomen Einheiten Sudetenland, Deutschböhmen, Böhmerwaldgau und Deutschsüdmähren. Diese von der Regierung in Liberec geführten Einheiten sollten ein neues staatliches Gebilde schaffen, das den erklärten Ideen der Pariser Friedenskonferenz widersprach. Die tschechoslowakische Regierung widerstand jedoch mit Hilfe der Legionäre und des Sokol diesem Sezessionsversuch.

In den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts, nach der sogenannten Weltwirtschaftskrise, verarmte die deutsche Bevölkerung im Grenzland stark. Textilfirmen, Porzellanfabriken, Möbelhersteller, Musikinstrumentenbauer, Glaser, Modeschmuckhersteller hatten in der Tschechoslowakei und auf der ganzen Welt keinen Umsatz mehr, und nach und nach scheiterten viele. Die Verarmung der deutschen Bevölkerung im Vergleich zur relativen Stabilität der national tschechischen Unternehmen im Landesinneren und des schnell wachsenden benachbarten Hitlerdeutschlands führte zu einer anschließenden politischen Radikalisierung, die die Deutschen dazu zwang, immer weniger mit der tschechoslowakischen Regierung zusammenzuarbeiten. Nach 1933 gipfelte das Problem mit dem Machtantritt von Adolf Hitler in Deutschland noch weiter. Der mächtige Nachbar, gleichzeitig der größte Handelspartner der Tschechoslowakei, beeinflusste die in der Tschechoslowakei lebende deutsche Minderheit politisch und wirtschaftlich so stark, dass am 1. Oktober 1933 die SdP, die Sudetendeutsche Partei unter Konrad Henlein, gegründet wurde. 1935 gewann diese faktisch die Wahlen zum Abgeordnetenhaus. Gleichzeitig kommt es allein zwischen 1935 und 1936 zu mehr als einer Vervierfachung ihrer Mitglieder.

So radikalisiert sich die deutsche Bevölkerung in der Tschechoslowakei unter wirtschaftlichen und sozialen Engpässen politisch, und keine tschechoslowakische Regierung kann sich dem stellen. Auch wegen der starken finanziellen und politischen Unterstützung aus dem Deutschen Reich unter Adolf Hitler werden ihre Forderungen gegenüber der Tschechoslowakei immer schärfer. Schließlich gipfelt dies in den Bemühungen, sich abzuspalten und dem Deutschen Reich beizutreten. Trotz des Widerstands der Tschechoslowakei, der Mobilisierung der Armee, der Auflösung der SdP und der ständigen nationalen und internationalen Verhandlungen endete alles mit der Münchner Konferenz. Die Regierungschefs Großbritanniens, Frankreichs, Italiens und Deutschlands, nämlich Neville Chamberlain, Édouard Daladier, Benito Mussolini und Adolf Hitler, einigten sich am 29. September 1938 ohne tschechoslowakische Vertretung darauf, die Grenzgebiete der Tschechoslowakei an Deutschland abzutreten. Das am 30. September 1938 unterzeichnete Abkommen zwang die Tschechoslowakei effektiv, den größten Teil des Grenzgebiets bis zum 10. Oktober zu räumen. Die Tschechoslowakei verlor nicht nur einen großen Teil der tschechischen Länder, sondern auch der Slowakei, deren einige Landesteile an Polen und Ungarn fielen. Sie verlor auch nahezu eine Hälfte Rutheniens, die an Ungarn fiel. Die Gesamtverluste der Tschechoslowakei nach München betrugen 41 098 km² und 4 879 000 Einwohner.

In der Tschechoslowakei selbst verblieb jedoch eine große deutsche Minderheit, die viele nationale Kämpfe gegen die Tschechen austrug. Allerdings stellten sich nicht alle gegen die Tschechoslowakei. Man darf zum Beispiel die deutschen Sozialdemokraten unter der Führung von Wenzel Jaksch oder die vielen Einwanderer aus dem Deutschen Reich wie die Brüder Mann, Bertolt Brecht oder Peter Weiss nicht vergessen. Trotz großer Anstrengungen überlebte die zweite Tschechoslowakische Republik nicht lang. Emil Hácha, der nach der Abdankung von Edvard Beneš am 5. Oktober 1938 zum Präsidenten gewählt wurde, gab dem Druck Adolf Hitlers nach und stimmte der Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren offiziell zu. Aus der ursprünglichen Tschecho-Slowakischen Republik entstanden zwei Einheiten, am 14. März 1939 wurde die Slowakische Republik ausgerufen und nach der Besetzung vom 15. März 1939 der tschechische Teil am 16. März 1939 zum Protektorat Böhmen und Mähren erklärt.
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Der Fluch des Zusammenlebens während des Protektorats und später in der erneuerten Tschechoslowakei war die Nationalität, ob tschechisch, deutsch oder jüdisch. Es war die Zeit des Protektorats, die das frühere Verständnis von Nationalitäten erheblich veränderte. Zum ersten Mal in der modernen Geschichte der tschechischen Länder waren verschiedene Definitionen von Bürgerrechten an die Staatsangehörigkeit gebunden. Die Deutschen hatten die meisten Rechte, die Tschechen weniger und die Juden im Grunde gar keine. Die Tschechen, die nach einem schwierigen „langen“ 19. Jahrhundert ihren eigenen Staat und das Gefühl, die ersten Nation ihrer Republik zu sein, errangen, wurden mit der Schaffung des Protektorats de jure zur sekundären Nationalität in „ihrem“ Staat. Die Besetzung der Tschechoslowakei war zumindest in den ersten Monaten ein klarer Sieg für die tschechischen Deutschen und die „Reichsdeutschen“. Die Deutschen begannen, die tschechische Elite zu ersetzen, besetzten die höchsten politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Positionen, ihre Sprache war wieder elitär. Die Tschechen befanden sich zu dieser Zeit in einem schwierigen moralischen und sozialen Dilemma. Viele wählten zwischen in- oder ausländischem Widerstand und dem Schutz der eigenen Familie. Sie mussten auch nach neuen Beschäftigungsmöglichkeiten suchen und sich um Familienmitglieder kümmern, die aus dem bereits besetzten Grenzgebiet geflohen waren. Trotz ihrer Opposition gegen die Besatzer mussten sie häufig täglich mit deutschen Chefs und Vorgesetzten in Kontakt treten. In den Augen der Deutschen wurden die Tschechen so zu einer Nation von Feiglingen, die sich weder gegen die Besetzung durch Deutschland verteidigten noch gegen das Münchner Abkommen und zu Lakaien wurden, die den Deutschen und dem Deutschen Reich dienten.
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Die deutsche Nationalität wurde dagegen als auserwählt wahrgenommen. Massen ehemals neutraler Bürger wurden täglich von NS-Propaganda und Symbolik bearbeitet. Wer Goebbels’ Reden nicht zuhörte, kein Porträt von Hitler hatte und zur Begrüßung nicht die rechte Hand hob, galt als Gegner des Regimes. Die Gestapo aber, selbst ein Symbol für Unterdrückung und Gewalt, beseitigte nicht nur Feinde aus anderen Nationalitäten, sondern verschlang auch die Deutschen. In diesem Zusammenhang müssen vor allem Mitglieder der katholischen Kirche und der Linken erwähnt werden, ob Sozialdemokraten oder die Kommunisten, die automatisch kriminalisiert, verhört, gefoltert und in Lager geschickt wurden. Ein typisches Beispiel ist das Konzentrationslager Dachau, das erste nationalsozialistische Konzentrationslager für politische Gefangene, meistens diejenigen, die deutschsprachigen. Problematisch für diese Gruppe von Menschen nach dem Krieg war jede Säuberung, da sie der Sprache nach Deutsche waren und sie daher von vielen als Feinde angesehen wurden, obwohl sie auch dem Gesetz nach zur Gruppe der Antifaschisten gehörten.

Die schwierigsten Momente kamen jedoch für die jüdische Minderheit in ganz Europa. Im tschechischen Umfeld zuerst im Sudetenland, unmittelbar nach der Besetzung nach dem Münchner Abkommen, später im Protektorat, traten die sogenannten Nürnberger Gesetze in Kraft, und die jüdische Minderheit wurde de facto an den Rand gedrängt und so zu Außenseitern der Gesellschaft. Die Rechte wurden den Juden nach und nach genommen. Neben der Beschränkung des Aufenthalts im öffentlichen Raum, der Trennung bei Besuchen öffentlicher Einrichtungen, dem Verbot des Zugangs zu kulturellen Einrichtungen, haben sie auch Eigentumsrechte verloren. Einige Gesetze richteten sich direkt gegen ihre Menschlichkeit. Zum Beispiel durften Juden keine Musikinstrumente besitzen oder Haustiere haben, einschließlich Hunde und Katzen. Anschließend verloren sie das verbleibende mobile und immobile Vermögen und wurden gewaltsam in ausgewiesene Stadtbezirke verlegt, in die sogenannten Ghettos. Mit dem Erfolg der deutschen Eroberungskriege in ganz Europa wuchs die Zahl der Juden im jetzt germanisierten Gebiet. Das Reich konnte seine beabsichtigten Ziele durch massive Mordaktionen nicht ausreichend effektiv erreichen. Munition für die Erschießung von Juden war teuer und Soldaten erlitten infolge der Morde erhebliche psychische Schäden. Auch im Hinblick auf diese Probleme wurde am Wannsee eine Konferenz einberufen, auf der am 20. Januar 1942 unter der Leitung von Reinhard Heydrich der Verlauf der sogenannten Endlösung der Judenfrage vereinbart wurde. Das in Gaskammern massiv eingesetzte Zyklon B wurde somit zum Hauptmittel, um nicht nur die jüdische Bevölkerung zu liquidieren. Diese Konferenz war jedoch nur ein formeller Höhepunkt der früheren Aktivitäten des Reiches, da 1941 und 1942 die Vernichtungslager Belzec, Sobibor, Treblinka, Chełmno, Majdanek und schließlich Auschwitz-Birkenau errichtet wurden. Insgesamt wurden bis 1945 etwa 6 Millionen Juden ermordet. Miroslav Kárný, der sich mit dem Holocaust der jüdischen Bevölkerung in den tschechischen Ländern befasste, kam zu dem Schluss, dass von den rund 120.000 im Protektorat lebenden Juden 30.000 ins Ausland ausgewandert sind, etwa 10.000 Juden noch vor den Transporten Selbstmord begangen haben und 80.000 von ihnen in Vernichtungslager deportiert wurden, von ihnen überlebten nur etwa 10.500 Menschen.

Der Zweite Weltkrieg, der am 1. September 1939 mit dem deutschen Angriff auf Polen begann, veränderte den sozialen Charakter des Protektorats in vielerlei Hinsicht. Die Deutschen, ehemalige Bürger der Tschechoslowakei, wurden Bürger des Reiches, so dass sie zur Wehrpflicht herangezogen wurden. Aus den Familien schwanden so allmählich die Männer und später auch Jungen. Dagegen wurden nun viele Deutsche aus dem Reich ins Protektorat geschickt, ohne emotionale Bindung, ohne das Land zu kennen, also ein ideales Werkzeug in den Händen des NS-Regimes. Darüber hinaus wurde die Marginalisierung der tschechischen Nation durch die Schließung der tschechischen Universitäten, nicht der deutschen, am 17. November 1939 bestätigt. Von der Karls- und Ferdinand-Universität blieb die deutsche Ferdinand-Universität geöffnet, während die Karlsuniversität zusammen mit anderen tschechischen Universitäten geschlossen war.

Die tschechischen Bemühungen, nationale Einheit zu demonstrieren, sei es im Zusammenhang mit der Bestattung der sterblichen Überreste von Karel Hynek Mácha auf dem Vyšehrad oder den Demonstrationen im Zusammenhang mit dem 28. Oktober, dem Datum der Gründung der Tschechoslowakischen Republik, wurden von repressiven Kräften umgelenkt und unterdrückt. Bis heute können wir an das Opfer von Jan Opletal und vielen anderen Studenten erinnern, die in das Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht wurden. Obwohl der in- und ausländische Widerstand versuchte, den Deutschen auf jede erdenkliche Weise Schaden zuzufügen, beispielsweise füllten viele tschechische Arbeiter auch loyal Munition mit Sand. So ließ doch der Widerstand während der Zeit des stellvertretenden Reichsprotektors Reinhard Heydrich fast vollständig nach. Das erfolgreiche Attentar auf Heydrich durch Jozef Gabčík und Jan Kubiš am 27. Mai 1942 kann daher als letzter, aber äußerst wichtiger Moment des Widerstands in Tschechien angesehen werden, da ein so hoher Nazi-Beamter während des Zweiten Weltkriegs in ganz Europa nicht mehr getötet werden konnte. In der Zeit der sogenannten Heydrichiaden verstärkten sie sich nach diesem Attentat die Repressionen so sehr, dass das Niederbrennen von Lidice und Ležáky im Juni 1942 zu einem wesentlichen Memento wurde, eine ständige Erinnerung an drakonische Maßnahmen gegen die Bevölkerung im Falle von Widerstandsaktivitäten. Die meisten Bewohner des Protektorats fielen damit in die sogenannte Grauzone, den Versuch, den Krieg zu überleben, die Familie zu schützen und die deutschen Vorgesetzten nicht zu verärgern. Latente Angst, Entsetzen, Furcht und Hilflosigkeit banden die Mehrheit, Partisanentätigkeit und kommunistischer Widerstand begannen erst 1944 wieder, als die Kraft des Nationalsozialismus nachließ. In dieser komplizierten Zeit wuchs der Hass auf alles, was mit Deutschtum und Deutschen zu tun hatte. Der Deutsche wurde so zum Feind, zu einer Figur, die nach dem Krieg zerstört werden musste.




Empfohlene Literatur:
BRANDES, Detlef. Češi pod německým protektorátem: okupační politika, kolaborace a odboj 1939-1945. Prag: Prostor, 2000
BRYANT, Chad. Praha v černém: nacistická vláda a české vlastenectví. Prag: Argo, 2012
GEBHART, Jan; KUKLÍK, Jan. Dramatické i všední dny protektorátu. Prag: Themis, 1996
JELÍNEK, Zdeněk. Západní paraskupiny a domácí odboj. Prag: Historický ústav Čs., 1992
MARŠÁLEK, Zdenko. “Česká” nebo “československá” armáda? : národnostní složení československých vojenských jednotek v zahraničí v letech 1939-1945. Prag: Academia, 2017
PECKA, Jindřich. Váleční zajatci na území Protektorátu Čechy a Morava. Prag: Ústav pro soudobé dějiny AV ČR, 1995
ROTHKIRCHENOVÁ, Livie; SCHMIDT-HARTMANNOVÁ, Eva; DAGAN, Avigdor. Osud Židů v protektorátu 1939–1945. Prag: Ústav pro soudobé dějiny, 1991
SCHELLE, Karel, TAUCHEN, Jaromír, ADAMOVÁ, Karolina, LOJEK, Antonín: Velké dějiny zemí Koruny české. Tematická řada. Stát. Prag, Paseka 2015
UHLÍŘ, Jan Boris: Protektorát Čechy a Morava 1939–1942. Srdce Třetí říše, Ottovo nakladatelství, Prag 2017
Die Vorbereitungen für die Befreiung der Tschechoslowakei waren bereits seit Ende 1942 im Gange, als Edvard Beneš begann, in Großbritannien über einen möglichen Aufstand in der Slowakei zu verhandeln. Die Slowakische Republik, angeführt von Jozef Tiso, wurde entgegen früherer Vorstellungen immer mehr von Nazideutschland geführt und schrittweise wirtschaftlich integriert, was auch bei der lokalen Bevölkerung zu Unmut führte. Darüber hinaus waren sich viele slowakische Politiker der Notwendigkeit bewusst, die Verbindung des slowakischen Staates mit den Nazis rückgängig zu machen, also eine formelle Rehabilitation der slowakischen Nation zu erreichen und der Roten Armee beim Vormarsch zu helfen. Vertreter von Partisanen, Kommunisten, Soldaten der aufgelösten tschechoslowakischen Armee und der Roten Armee lösten schließlich am 29. August 1944 einen massiven slowakischen Nationalaufstand aus, der bis zum 28. Oktober 1944 andauerte. Der Aufstand wurde außerdem von der sogenannten Karpaten-Dukliner Operation unterstützt, die von September bis Oktober1944 stattfand. Die Ergebnisse des Aufstands und der Operation sind immer noch umstritten. Einerseits verursachten sie erhebliche Verluste für Deutschland, banden einen Teil seiner Truppen und halfen bei der formellen Rehabilitation der slowakischen Nation. Andererseits endeten sie in einem echten Fiasko, weil sie die Befreiung der Tschechoslowakei nicht beschleunigten. Die erste große Stadt, die von der Roten Armee befreit wurde, war Košice am 20. Januar 1945. Die Befreiung der Slowakei war Ende April abgeschlossen, zum wichtigen Moment wurde die Befreiung Bratislavas am 4. April 1945.
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Die Befreiung des tschechischen Teils der Republik begann mit dem Vormarsch der sowjetischen Streitkräfte aus Bratislava und Ostrava. Zu den vorrückenden Soldaten der Sowjetunion, Rumäniens, Polens und der Tschechoslowakei kamen am 18. April 1945 nach dem Überqueren der südwestlichen Grenze der Tschechoslowakei die Truppen der US-Armee. Die Stadt Brno wurde am 26. April 1945 befreit. Den Kulminationspunkt der Aktivitäten gegen die Okkupation bildete der Nationalaufstand im Mai, der vom 1. bis 11. Mai verlief. Diese Rebellion wurde erneut von Partisanen-Einheiten von Russen, Ukrainern und Tschechen, die seit 1944 auf dem Staatsgebiet tätig waren, und Einheiten der tschechoslowakischen Armee vorbereitet. Als Beginn der gesamten Aktion gilt der Aufstand am 1. Mai in Přerov, der sich allmählich in Mähren, Schlesien und Böhmen ausbreitete. Symbolischer Höhepunkt war der sogenannte Prager Aufstand vom 5. bis 9. Mai 1945, an dem Tausende tschechischer Aufständischer zusammen mit Einheiten der sogenannten Wlassow-Armee, der russischen Befreiungsarmee, teilnahmen, die während des Zweiten Weltkriegs auf der Seite Nazideutschlands unter der Führung von General Wlassow gekämpft hatten. Dieser Aufstand endete erst nach dem Eintreffen der Roten Armee am 9. Mai 1945.

Die Militäraktionen selbst gingen Hand in Hand mit der Politik. Bis heute werden Emotionen ausgelöst, zum Beispiel durch das frühe Ende der Befreiungsaktionen der US-Armee aufgrund der Aufteilung der Tschechoslowakei in Zonen, die die Amerikaner oder die Sowjets befreien sollten, oder der allmählichen Sowjetisierung demilitarisierter Gebiete. Diese scheinbaren Konfliktsituationen waren ausgehandelt, nämlich durch die tschechoslowakische Exilregierung in London, zusammen mit den von Klement Gottwald in Moskau angeführten Kommunisten oder direkt mit den Siegermächten. Die Teheraner Konferenz von November bis Dezember 1943 war von wesentlicher Bedeutung für das Schicksal Mittel- und Osteuropas. Auf sie folgte später die Konferenz von Jalta im Februar 1945, die frühere Entscheidungen formell bestätigte.

Für die weitere Entwicklung der Tschechoslowakei und die Frage der Deutschen im Land wurde das sogenannte Regierungsprogramm von Košice zu einem zentralen Thema. Wie bereits erwähnt, war Košice die erste große befreite Stadt der Tschechoslowakei, und hier beschlossen die wichtigsten Vertreter der Parteien der sogenannten Nationalen Front, sich zu treffen. Die Nationale Front der Tschechen und Slowaken war eine abgesprochene Verbindung von fünf, beziehungsweise sechs linken Parteien und Parteien der Mitte aus der Zeit vor München. Zum Beispiel wurde die Agrarpartei, also die Republikanische Partei der landwirtschaftlichen und kleinbäuerlichen Bevölkerung, nicht erneuert. Ihre Tätigkeit wurde durch das Regierungsprogramm von Košice verboten. Einige Mitglieder dieser wichtigen Partei der Ersten Republik traten entweder an den Volkssozialisten oder der Tschechoslowakischen Volkspartei bei.

Politischer Konsens fand nicht nur in Bezug auf die politischen Parteien statt, sondern auch in Bezug auf die Wirtschaft, insbesondere die Verstaatlichung. Die Aufgabe der Nationalen Front bestand in erster Linie darin, die Volkswirtschaft rasch wiederherzustellen. Dies war mit der Enteignung von Eigentum von Deutschen, Ungarn und Personen verbunden, die von Retributionsgerichten wegen angeblichen Verrats oder Kollaboration verurteilt wurden, wobei die Vergeltungsjustiz und die entsprechenden Kategorien durch Dekrete des Präsidenten der Republik festgelegt wurden. Die einzige Ausnahme war dabei die Frage der Antifaschisten sowohl auf deutscher als auch auf ungarischer Seite. Nach der damaligen Gesetzgebung konnten sie die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft und in den meisten Fällen ihre Eigentumsrechte behalten. In vielen Fällen wurden deutsche Antifaschisten bereits im Frühjahr 1945 zusammen mit dem Rest der deutschen Bevölkerung vertrieben. Viele andere Antifaschisten standen damals unter dem Druck lokaler und regionaler Nationalausschüsse. In der Praxis war die Anerkennung antifaschistischer Aktivitäten mit der Bereitschaft der Betroffenen verbunden, das Land zu verlassen. Es überrascht nicht, dass viele Antifaschisten deshalb den Weg der „freiwilligen“ Abreise aus der Tschechoslowakei gewählt haben. Anschließend auf beschlagnahmtem Land eine Bodenreform durchgeführt. Gerade diese Landreform der Nachkriegszeit war ihrem Umfang nach weitaus schwerwiegender war als jene, die die Kommunisten nach 1948 einführten. Im eigentlichen Regierungsprogramm von Košice wird die Landreform jedoch nicht erwähnt, obwohl diese als wirtschaftlich-soziale Lösung für die Nachkriegsökonomie bereits weitgehend umgesetzt wurde. Die erste Phase der Landreform der Nachkriegszeit brachte große Veränderungen in der tschechischen Landwirtschaft mit sich. Insgesamt wurden 2 400 449 ha Land von Deutschen, Ungarn und Personen beschlagnahmt, die man zu Kollaborateuren erklärt hatte. Davon betrug die landwirtschaftliche Nutzfläche 1 405 070 ha. Das Land wurde Kleinbauern, Landarbeitern und anderen ländlichen „Landlosen“ zugeteilt. Der verbleibende Grundbesitz, hauptsächlich Waldgebiet, wurde überwiegend dem Staat oder öffentlichen Einrichtungen zugewiesen. Die KSČ, die ihre Position auf Kosten der verbleibenden Parteien der Nationalen Front weiter festigte, erklärte sich für die Änderungen in der Eigentümerstruktur des Grundbesitzes verantwortlich.

In ähnlicher Weise nahm der Staat fast die Hälfte der gesamten Industrie unter seine Kontrolle, was wiederum als positiver Schritt gegenüber den einfachen Bürgen, beziehungsweise Wählern, angesehen wurde. Tatsächlich betrafen vorgebrachte Vorbehalte nur das Ausmaß der Verstaatlichung. Der nach der damaligen Auslegung als „deutsch, Kollaboranten gehörend oder ungarisch“ eingestufte Besitz wurde an die nationale Verwaltung übertragen. Da zum Zeitpunkt der Verhandlungen über das Regierungsprogramm von Košice in den ersten Nachkriegsmonaten die gesetzgebende Gewalt nicht von der Nationalversammlung ausgeübt werden konnte, erließ Edvard Beneš die sogenannten Beneš-Dekrete, also Präsidialdekrete, die die Kraft von Gesetzen oder gar Verfassungsgesetzen hatten. Insgesamt wurden 98 Präsidialdekrete in der Sammlung der Gesetze veröffentlicht. Die vier Dekrete des Präsidenten vom 24. Oktober 1945, mit denen wichtige Branchen der Industrie, der Lebensmittelindustrie, Banken und Versicherungsunternehmen verstaatlicht wurden, sind für die künftige historische Entwicklung am wichtigsten. Die Verstaatlichung betraf alle Schlüsselunternehmen mit über 500 Beschäftigten. Insgesamt wurden so mehr als 3000 Unternehmen verstaatlicht, also 67% der Gesamtzahl der Industrieunternehmen. Anspruch auf Entschädigung für verstaatlichtes Eigentum hatten diejenigen, die nicht als Feinde der Nation oder Kollaborateure eingestuft waren. Die überwiegende Mehrheit der Eigentümer wurde aber nie entschädigt.

Der Krieg hat die Tschechoslowakei in einen politischen, wirtschaftlichen und moralischen Verfall versetzt. Taktische Bombenangriffe auf Unternehmen und Städte, Straßenkämpfe, Schüsse, Barrikaden, Hinrichtungen, Blut, Vergewaltigungen, Leichen – all dies war in der ersten Hälfte des Jahres 1945 fast an der Tagesordnung. Trotzdem gerieten die meisten Tschechen durch die Befreiung und die Hoffnung auf eine bessere nationale Zukunft in Euphorie. Für die deutsche Bevölkerung hingegen begann eine Zeit der Angst und Unsicherheit.




Literatur: HRBEK, Jaroslav. Draze zaplacená svoboda: osvobození Československa 1944-1945. Band 1 Prag: Paseka, 2009.
HRBEK, Jaroslav. Draze zaplacená svoboda: osvobození Československa 1944-1945. Band 2 Prag: Paseka, 2009.
Jakl, Tomáš: Květen 1945 v českých zemích, Prag, MBI 2004
Kural Václav – Štěpánek Zdeněk: České národní povstání v květnu 1945, Prag, Karolinum 2008
LACKO, Martin. Slovenské národné povstanie 1944. Bratislava: Slovart, 2008.
MRŇKA, Jaromír. Limity lidskosti: politika a sociální praxe kolektivního násilí v českých zemích 1944- 1946. Prag: Ústav pro studium totalitních režimů, 2019.
NĚMEČEK, Jan. Kapitoly z osvobození Československa 1945. Prag: Academia, 2017. 1938-1953.
RYCHLÍK, Jan. Češi a Slováci ve 20. století: spolupráce a konflikty 1914-1992. Zweite Ausgabe bei Vyšehrad. Prag: Vyšehrad, 2015.
Stanislav Zámečník: Český odboj a národní povstání v květnu 1945, Prag, Naše vojsko 2006.
TOTH, Dezider et al. Generál Golian a jeho doba: materiály z odborného seminára k 100. výročiu narodenia Jána Goliana, 31. Oktober 2006. (slowakisch)
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Falschmeldungen und nicht belegte Informationen über die ganze Vertreibung der Deutschen im Jahr 1945 sowie über die „organisierte“ Vertreibung, die von Herbst 1945 bis 1947 nach den auf der Potsdamer Konferenz festgelegten Regeln stattfand, finden immer noch Resonanz in der Gesellschaft und schaffen Raum für viele mediale und politische Fehlinterpretationen. Sowohl die deutsche als auch die tschechoslowakische und später tschechische Seite sind auch heute mit Problemen konfrontiert, die durch das kommunistische Informationsembargo und die einseitige Auslegung auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs verursacht wurden. Im Allgemeinen ist es schwierig, die Ereignisse dieser Jahre auf kohärente und sachliche Weise darzustellen, deshalb wird der folgende Text nur auf die wichtigsten Aspekte der Vertreibung und des „odsun“ als solches beschränkt sein.
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Problematisch ist bereits die Benennung der Ereignisse von 1945-1947 / 48. In Deutschland ist der Begriff „Vertreibung“ für den gesamten Zeitraum weit verbreitet, tschechisch „vyhnání“. Als Beispiel sei die bekannte deutsche Publikation Lexikon der Vertreibungen aus dem April 2010 genannt. Im tschechischen Umfeld ist dieser Zeitraum eher in zwei Teile gegliedert. Die erste Phase besteht aus den Ereignissen des Frühlings und des Sommers 1945, die zweite aus den Ereignissen vom Herbst 1945 bis Ende 1947 und 1948. Im Vergleich zu früheren Benennungen wie „transfer“ (Bevölkerungstransfer) oder „vysídlení“ (Aussiedlung) haben sich die Begriffe „divoký odsun“ (wilde Abschiebung/Vertreibung) für die Ereignisse von 1945 und „organizovaný odsun“ (organisierte Abschiebung/Vertreibung) für den Zeitraum nach der Potsdamer Konferenz etabliert.

Gerade die Zeit der sogenannten wilden Vertreibung ist durch die Befreiung des Protektorats gekennzeichnet, die Übernahme der Verwaltung durch tschechische Amtsträger, die Schaffung lokaler und regionaler Nationalausschüsse, durch Begeisterung und Erleichterung auf tschechischer Seite. Ein großer Teil der tschechischen „Reichsdeutschen“ erlebte dagegen die schrecklichsten Momente der gesamten Kriegszeit. Seit dem Winter 1944/45 waren Hunderttausende Menschen ständig unterwegs. Von Kriegsflüchtlingen bis zu den letzten Soldaten, die sich auf die Verteidigung vorbereiten, Rückkehrern aus dem Krieg, aus Konzentrationslagern, vom totalen Arbeitseinsatz in Deutschland. Jeder war einer großen existenziellen Unsicherheit ausgesetzt. Verlogene Propaganda führte vielerorts nationalsozialistisch fanatisierte Soldaten und Milizionäre aus dem sogenannten Volkssturm in einen vergeblichen Kampf. Der Guerillakrieg der Deutschen hörte auch lange nach Hitlers Selbstmord und dem offiziellen Kriegsende nicht auf. Allein im Riesengebirge kämpften historischen Quellen zufolge sowjetische und tschechoslowakische Milizsoldaten noch im Juni gegen deutschen Widerstand. Gleichzeitig waren die tschechoslowakischen Nachrichten jedoch aktiv an Fehlinformationen beteiligt, da sie die Bevölkerung auch noch lange nach dem Ende dieser Aktivitäten vor anhaltenden Guerilla-Angriffen warnten. Deutsche aus Orten mit gemeldeten Aktivitäten feindlicher militärischer Einheiten wurden wegen angeblicher Kontakte zu und Hilfe für diese Feinde des Friedens verantwortlich gemacht, angegriffen und körperlich bestraft. Der Besitz einer Waffe bedeutete die Todesstrafe. Die Deutschen waren verpflichtet, alle Waffen abzugeben. Todesurteile im Zusammenhang mit dem Verbergen von Waffen waren relativ häufig, wie aus regionalen Berichten hervorgeht. Wichtig in diesem Zusammenhang sind auch Berichte über die Bemühungen der hiesigen Deutschen, Kontakte zu den Deutschen jenseits der Grenze herzustellen und schließlich in ihre Heimat zurückzukehren. Noch einige Jahre nach dem Krieg erschienen Zeitungsartikel, die die Grenzbewohner vor feindlichen Aktivitäten warnten und falsche Bedenken hinsichtlich einer Änderung des bestehenden Status quo äußerten. Die Erfahrung des Krieges, der aufgestaute Hass und verschiedene Aufwiegelungen, insbesondere durch die tschechischen Streitkräfte, führten zu Gewalt, die hauptsächlich in zwei Wellen stattfand. Die erste Welle kann als die Gewalt der Nachkriegstage verstanden werden, die in Brünn, Prag und an anderen Orten stattfand. Die zweite Gewaltwelle im Jahr 1945 fand um Ende Juni und Anfang Juli statt. Ein Beispiel für diese Gewalt sind die Ereignisse in Ústí nad Labem. Doch auch danach ließ die Antipathie gegen die Deutschen nicht wirklich nach. Latente Spannungen wurden durch verschiedene nicht belegte Berichte aufrechterhalten, von denen einige in Zeitungen veröffentlicht wurden, sowie durch die Verwendung der deutschen Sprache. Die Gewalttäter traten nie in „Massen“ auf, es waren immer Einzelpersonen oder kleine Gruppen, obwohl sie anfangs von der allgemeinen Atmosphäre unterstützt wurden.

Anfeindungen nahmen verschiedene Formen an. Die Deutschen waren gezwungen, weiße Armbänder mit dem Buchstaben N für „němec“ (Deutscher), D für „Deutsch“ oder direkt mit Hakenkreuz zu tragen. Die Leute spuckten vor ihnen auf den Boden, beschimpften sie, schikanierten sie, schlugen sie für die Verwendung der deutschen Sprache, urinierten auf sie, vergewaltigten, schlugen, folterten und töteten sie. Alles, was durch symbolische, verborgene oder im Gegenteil offene Gewalt begangen wurde, wurde und wird durch die Zeit und die Atmosphäre erklärt, aber es sollte erwähnt werden, dass viele auch Gewalt gegen ihre Nachbarn begangen haben, um ihr Eigentum zu erlangen. Gerade der Wunsch nach Eigentum deutscher Mitbürger, das seit vielen Generationen in ihrem Besitz war, oder während des Krieges, von einheimischen und „reichsdeutschen“ Deutschen konfisziert worden war, das Gold und die Wertsachen, die in deutschen Koffern, Anhängern und Ohrringen verborgen waren, waren der Antrieb vieler Täter, denen neben Alkohol auch die allgemeine Überzeugung von der Kollektivschuld der Deutschen half. Die Idee der Vertreibung der deutschen und ungarischen Bevölkerung war kein Produkt des Jahres 1945. Vor allem Edvard Beneš ist mit der Idee der Vertreibung der deutschen Bevölkerung verbunden. Seine während des Zweiten Weltkriegs unterbreiteten Vorschläge betreffen hauptsächlich die Abspaltung von Grenzregionen, die der Tschechoslowakei einen großen Teil der deutschsprachigen Bevölkerung entziehen würden. Seinen Vorschlag stellte er bereits während des Zweiten Weltkriegs den Diplomaten in Großbritannien vor, anschließend dann Stalin in Moskau. Es war die Zustimmung der Sowjets und später der übrigen Mitglieder des Bündnisses, die für den Verlauf der Vertreibung der Deutschen ausschlaggebend war, denn ohne sie wäre die Vertreibung so gut wie undurchführbar gewesen. Die Zustimmung der Sowjetunion war besonders wichtig. Sie verband die Vertreibung von Deutschen aus der Tschechoslowakei mit der Vertreibung von Deutschen aus ihren ehemaligen Gebieten in Polen. Polen wurde insgesamt weiter nach Westen verschoben. Die Deutschen verloren damit ein bedeutendes Stück Territorium. Die Sowjetunion gewann weitere Gebiete vom westlich verlagerten Polen. Die Grenzen zwischen Deutschland und Polen haben sich damals stabilisiert und diese Situation hält bis heute an.

Die Vertreibung der Deutschen selbst, manchmal auch als wilde Vertreibung bezeichnet, wurde lange Zeit als spontane Reaktion der Bevölkerung auf das Kriegsende und nicht als geplante Aktion angesehen. Diese Ansicht wurde in der tschechischen Geschichtsschreibung durch eine bahnbrechende Studie von Adrian von Arburg und Tomáš Staněk mit dem Titel „Organizované divoké odsuny?“ (Organisierte wilde Vertreibungen?) angezweifelt. Die Autoren bewiesen auch bei den Geschehnissen im Frühjahr eine beachtliche Organisation. Als Beispiel sei die Vertreibung der Deutschen aus Brünn genannt. Diese ist auf ein absolut geplantes Dekret des Brünner Nationalkomitees vom 30. Mai zurückzuführen. Ein weiteres Beispiel ist die Vertreibung der Deutschen aus dem Bezirk Vrchlabí, wo die massivsten und radikalsten Aktionen im gesamten Vorgebirge des Riesengebirges stattfanden.

Einer der Auslöser dieser Gewaltakte gegen die deutsche Bevölkerung waren unter anderem die Reden von Edvard Beneš. Seine berühmte Aussage „Wir müssen die deutsche Frage in der Tschechischen Republik liquidieren“, obwohl er nach heutiger Interpretation nicht plante, körperliche Gewalt zu induzieren, führte zu Gewalt und legitimierte vor allem die verübte Gewalt. Das hohe Maß an Legitimität sowie die schrittweise rechtliche Verankerung von Gewalt sind charakteristisch für 1945. Die Menschen haben geistig Gewalt und Tod als Mittel angenommen und sind daran gewöhnt, diese Schrecken hervorzurufen, ohne sich schuldig zu fühlen. Die Formen der sogenannten wilden Vertreibung (obwohl organisiert, siehe oben) waren von Region zu Region sehr unterschiedlich. An Orten mit einer großen Anzahl „Reichsdeutscher“ wurden Dekrete erlassen, die ihnen befahlen, den Bezirk bis zu einem bestimmten Datum zu verlassen. Gleichzeitig kam es nach der Machtübernahme zu Verhaftungen der Deutschen mit dem Ziel, Informationen zu erhalten oder sie wegen Kriegsverbrechen zu verurteilen. Es muss jedoch hinzugefügt werden, dass die meisten Naziführer und wichtigen Beamten vor der Ankunft der sowjetischen Truppen aus dem Protektorat geflohen sind. In vielen Fällen wurde der wahre Schuldige nicht gefunden. Zusammen mit diesen Ereignissen gab es eine „wilde“ Vertreibung. Es wurde klargestellt, dass jede Person, die bei der Volkszählung von 1929/30 ihre Nationalität als deutsch angab, als deutsch zu gelten hatte. Rücksicht genommen werden sollte zunächst nur auf Antifaschisten mit einem roten Armband und auf Mischehen, wobei aber die Tätigkeit des deutschen Teils und die Erziehung der Kinder überprüft werden sollten.

Zu Personen deutscher Staatsangehörigkeit, die nicht ausgewiesen werden sollten, gehörten die, die sich gegen die Tschechoslowakei schuldig gemacht hatten, gegen die Gerichtsverfahren geführt wurden oder geplant waren; diejenigen, die aus den Konzentrationslagern zurückkehrten, gegen den Nationalsozialismus kämpften oder für ihre demokratische Haltung vor und während des Krieges bekannt waren, sowie Österreicher mit österreichischer Staatsangehörigkeit, die nachweisbar nicht kollaboriert hatten. Für Österreicher mit tschechoslowakischer Staatsbürgerschaft war die Situation noch komplizierter. In den Augen der meisten Menschen waren die Österreicher auf dem Niveau der Deutschen. Wie Tomáš Staněk in seinem berühmten Buch „Odsun Němců z Československa“ (Die Vertreibung Deutschen aus der Tschechoslowakei) schreibt, „wurden politisch einwandfreie Österreicher auf die gleiche Ebene gestellt wie die tschechoslowakische Staatsbürger, aber in der Praxis wurden sie auch ohne schwerwiegende Gründe uneinheitlich und manchmal hart behandelt.“ Daher ist es nicht verwunderlich, dass viele von ihnen, wie viele Schweizer, den Weg der freiwilligen Ausreise aus der Tschechoslowakei gewählt haben.

Unter denjenigen, die bei den ersten Transporten an erster Stelle standen, befanden sich Intellektuelle, Lehrer, Anwälte, wohlhabendere Schichten, Fabrikarbeiter und Großbauern. Ihre Ausweisung ging Hand in Hand mit der fortschreitenden Verstaatlichung. Es heißt, die vertriebenen Deutschen konnten Gegenstände mitnehmen, die sie selbst tragen könnten, oder bei größerer Organisation bis zu 30 Kilogramm. Es muss hinzugefügt werden, dass ihnen ihre persönlichen Gegenstände auch noch abgenommen wurden. Um das Maximum ihres Eigentums zu erhalten, reisten viele trotz der vorherrschenden Hitze mit so viel Kleidung wie möglich am Leib. Dehydration, Erschöpfung, die zum Tod führte, kamen häufig vor.

Sogenannte „organisierte Vertreibungen“, also Zwangsumsiedlungen ab Herbst 1945 gemäß den auf der Potsdamer Konferenz unterzeichneten Konventionen, gingen mit weniger körperlicher Gewalt einher. Alle vertriebenen Deutschen wurden in Namenslisten eingetragen. Der gesamte Evakuierungsprozess wurde von Vertretern des Roten Kreuzes überwacht. Das erlaubte Gepäck durfte insgesamt fünfzig Kilogramm nicht überschreiten. Vertriebene Deutsche sollten im Rahmen der Absprachen auch Essen für drei Tage bekommen. Zusätzlich zur Registrierung der Personen wurde ein dreisprachiger Brief verschickt, in dem die Anzahl, das Alter und die Namen der Personen waren und der eine Erklärung enthielt, dass niemand Anzeichen einer ernsthaften Infektion aufwies sowie ob und wann sie die Läusekontrolle und DDT-Behandlung durchlaufen hatten. Der Brief wurde von deutschen Ärzten angewendet, die permanent in den Sammellagern arbeiteten. Dennoch kam es zu Todesfällen. Es starben vor allem ältere Menschen, die die Anstrengungen der Vertreibung nicht überstanden und beispielsweise in den Zügen verstarben.

Die Gesamtzahl der aus der Tschechoslowakei vertriebenen Deutschen zu quantifizieren, ist ebenso wie die objektive Ermittlung der Opferzahl bis heute nahezu unmöglich. Es wird allgemein angenommen, dass von rund 3 231 688 Bürgern, die 1930 ihre Nationalität als deutsch angaben, etwa 2 230 000 vertrieben wurden. Davon durchlebten 660 000 die sogenannte wilde Vertreibung. Die Schätzungen zur Zahl der getöteten Deutschen variieren je nach Veröffentlichung und Zeitpunkt der Erstellung des Werks. Die in älteren Büchern veröffentlichten Zahlen reichen sogar von 17 000 bis 80 000. Die von der tschechisch-deutschen Historikerkommission geschätzte Zahl der getöteten und verstorbenen Deutschen zwischen 25 000 und 35 000 erscheint realistisch. Laut Statistik in der wiederhergestellten Tschechoslowakei blieben in unserem Gebiet rund 240 000 Deutsche. Es muss auch hinzugefügt werden, dass 1947 noch 100 000 Deutsche in die US-Besatzungszone umgesiedelt werden sollten. Diese Vertreibung wurde nicht mehr durchgeführt und so sind für 1947 nur noch Ausweisungen zum Zweck der Familienzusammenführung oder aufgrund von Anträgen der Deutschen selbst belegt.




Literatur:
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ARBURG, Adrian von; STANĚK, Tomáš. Organizované divoké odsuny? Úloha ústředních státních orgánů při provádění “evakuace” německého obyvatelstva (květen až září 1945).In: Soudobé dějiny. 2006, Jahrgang 13, Nr. 3-4, s. 321-376.
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Rund eine Viertelmillion Deutsche haben das Kriegsende überlebt und sind trotz aller Bemühungen der Behörden und Milizionäre in der Tschechoslowakei geblieben. Diese relativ große Gruppe war und blieb intern sehr differenziert, obwohl Beamte und Anwohner, die Warnungen an die Zeitung schickten, die Zusammenarbeit dieses „Elements“ befürchteten. Einige Deutsche wurden aus politischen Gründen nicht vertrieben, andere aus wirtschaftlichen, rechtlichen, altersbedingten Gründen usw. In diesem Abschnitt wird auf Menschen eingegangen, die nach 1947 freiwillig und unfreiwillig in der Tschechoslowakei geblieben sind.
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Bereits im Mai 1945 wurde beschlossen, einige Einwohnergruppen von den sogenannten Abschiebemaßnahmen auszuschließen. Die erste spontane Vertreibung der deutschen Bevölkerung unterschied kaum zwischen den einzelnen Deutschen. Wie gezeigt wurde, waren viele dieser Aktionen organisiert und politisch unterstützt. Auch Menschen, die nicht nur nicht mit dem NSRegime zusammengearbeitet hatten, sondern sich offen gegen die Nazis gestellt hatten und von ihnen verfolgt worden waren, wurden oft vertrieben. Der späteren Potsdamer Konferenz nach und früheren Vereinbarungen der tschechoslowakischen Behörden zufolge sollten Personen, die sich aktiv am Widerstand gegen den Nationalsozialismus beteiligt hatten, als Antifaschisten betrachtet werden. Einige erhaltene Archivquellen erwähnen diese Gruppe jedoch nicht. Ein Beispiel hierfür ist das Dekret der Bezirksverwaltungskommission in Vrchlabí vom 14. Juni 1945. Es spricht nur von der Notwendigkeit, die Vertreibung von Personen auszusetzen, die in einer sogenannten Mischehe waren. Wie in anderen Teilen der Republik bedeutete dies jedoch nicht automatisch, dass die Deutschen aus Mischehen vor der Vertreibung sicher waren. Entscheidend war, welches Familienmitglied deutscher Staatsangehörigkeit war, ob Vater oder Mutter. Wenn die Mutter eine Deutsche war, wurde angenommen, dass das Tschechische des Vaters in der Familie dominiert, so dass die Kinder auf Tschechisch erzogen werden. Wenn der Vater ein Deutscher und die Mutter eine Tschechin war, konnte eine solche Familie und zusammen mit der Mutter vertrieben werden, was auch oft vorkam. Einige Frauen haben versucht, gegen solche Maßnahmen Berufung einzulegen und ihre Fälle wurden gründlich untersucht. Eine wichtige Rolle spielten sowohl die Kenntnisse der tschechischen Sprache der Kinder und die Verwendung des Tschechischen im Haushalt als auch vor allem die Aussagen der Nachbarn. Im Allgemeinen entschied die nachbarschaftliche Loyalität oder umgekehrt die Untreue oft über das Schicksal vieler Deutscher, die teilweise oder vollständig in die Kategorie der Menschen passten, die eigentlich hätten in der Tschechoslowakei bleiben dürfen.

Nach dem vorgenannten Dekret von 1945 sollten auch Personen, die sich der Tschechoslowakei gegenüber schuldig gemacht hatten und gegen die ein Gerichtsverfahren eingeleitet wurde in der Tschechoslowakei bleiben. Darüber hinaus Staatsangehörige der Republik Österreich. Dies war eine relativ enge Gruppe von Menschen, von denen sich viele trotz ihrer österreichischen Staatsbürgerschaft für eine „freiwillige“ Ausreise entschieden haben. Der öffentliche Druck war für einige von ihnen unerträglich, ebenso wie die Last der kollektiven Schuld der deutschsprachigen Bevölkerung. Unter den Deutschen, die nach dem Krieg in der Tschechoslowakei bleiben konnten, befanden sich auch ältere und kranke Menschen, von denen erwartet wurde, dass sie die Vertreibung nach Deutschland nicht überstehen würden. Diese Gruppe wurde jedoch nie genau definiert, sie hing oft sowohl von Ausweisungsinitiatoren als auch von Ärzten ab, die insbesondere zur Zeit der sogenannten „organisierte Vertreibungen“ die Deutschen kontrollieren sollten. Die Ärzte entschieden dann auf der Grundlage eines Expertenurteils über ihre Fähigkeit und Eignung, sich einem Transport nach Deutschland zu unterziehen. Auch familiäre Gründe spielten in diesen Angelegenheiten eine bedeutende Rolle, besonders ob der Rest ihrer Familie vertrieben wurde oder nicht. Nach den Vorgaben der Potsdamer Konferenz sollten die Behörden versuchen, Familien zu vereinen, so dass auch ältere Menschen häufig mit dem Rest der Familie vertrieben wurden. Wenn sie die Möglichkeit beantragten, in der Tschechoslowakei zu bleiben, oder wenn sie durch die Behörden aufgrund ihres Alters oder Gesundheitszustands von der Ausweisung ausgeschlossen wurden, waren sie weitgehend auf die Hilfe von Familienmitgliedern angewiesen, denen die zuständigen Behörden die sogenannte Unterhaltspflicht anordneten. Der finanzielle Betrag der Beihilfe für ältere, kranke und gebrechliche Menschen war jedoch gering.

Eine der Gruppen der deutschsprachigen Bevölkerung, die in der Tschechoslowakei bleiben sollten und konnten, waren Menschen, die aus Konzentrationslagern zurückkehrten. Zu dieser Kategorie gehörten sowohl deutsche politische Gefangene, vorwiegend Angehörige der deutschen Sozialdemokratie und anderer Parteien, die durch ihre Parteizugehörigkeit automatisch als Antifaschisten angesehen wurden, als auch andere während des Krieges verurteilte und von den Nazis verfolgte deutsche Einwohner. Eine wesentliche Gruppe in dieser Kategorie bildeten Juden, die aus Konzentrationslagern zurückkehrten. Es waren Menschen dieser Gruppe, die auch nach dem Krieg enorme Traumata erlebten, sie gehörten nachweislich zu denen, die am häufigsten Selbstmord begingen. Ihre Situation war nach dem Krieg sehr schlecht. Infolge der Arisierung jüdischen Eigentums durch das NS-Regime verloren sie den größten Teil ihres Besitzes. Die nach dem Krieg von Mitgliedern der Nationalausschüsse beschlagnahmten Gegenstände wurden der tschechischen Bevölkerung zugewiesen, da man wegen Abwesenheit oder angenommenem Tod nicht auf die ursprünglichen Eigentümer Rücksicht nahm. War es einigen gelungen, die Nöte und Schrecken der Konzentrationslager zu überleben und in ihre Heimat zurückzukehren, so fanden sie in vielen Fällen nicht nur kein Mitglied ihrer Familie oder Bekannten mehr vor, da die meisten von ihnen in den Lagern und bei Todesmärschen ermordet worden waren, sondern stellten zudem fest, dass sie nur ein theoretisches Anrecht auf ihr Eigentum hatten, dessen Einforderung langwierig und kompliziert war. Außerdem löste ihre deutsche Sprache Aggression und Missgunst aus, mehrfach wurden sie Opfer von Gewalt und Mord. Nur selten gelang es ihnen, den durch die Nazis geraubten Besitz wiederzuerlangen und ein neues Leben als gleichberechtigte Bürger der Tschechoslowakei zu beginnen. Einige fühlten sich so entfremdet, dass sie zusammen mit anderen den Weg der Ausreise wählten, oder nach Israel, beziehungsweise in die USA auswanderten.

Die letzte größte Gruppe von Menschen, die in vielen Fällen nicht in das besetzte Deutschland vertrieben wurden, waren sogenannte Spezialisten. Diese waren in der Größenordnung von Zehntausenden, wie Antifaschisten zu Beginn der Vertreibung im Jahr 1945 oder Mischehen. Die numerische Struktur der verbliebenen Deutschen variierte mit der Zeit. Wenn wir die Anzahl dieser drei Gruppen bewerten, ging die Anzahl der Antifaschisten ständig zurück, Zehntausende von ihnen wählten nach Druck und freiwillig den Gang ins Exil außerhalb Deutschlands und sogar nach Deutschland selbst, und so blieben laut Tomáš Staněk im November 1946 nur 13 000 Personen mit einem gültigen Zertifikat im Land. Außerdem muss man noch weitere 25 000 Menschen hinzufügen, die ausgewiesen werden sollten. Aber wie viele tatsächlich 1947 vertrieben wurden, ist sehr schwer zu bestimmen. Bei Mischehen war die Situation noch komplizierter. Die Anzahl der Personen in der Kategorie der Mischehen variierte je nach Zeit und behördlichen Vorschriften. Insgesamt lebten zum 31. Dezember 1946 noch 33 000 Deutsche in Mischehen. Die zahlreichste Gruppe „verbleibender“ Deutscher zählte mit ihren Familienmitgliedern zu Spezialisten. Obwohl in den ersten Nachkriegsmonaten die Zahl der Deutschen relativ nahe an der Summe der Antifaschisten und Mischehen lag, war die Situation Ende 1946 anders. Am 1. November 1946 listet Tomáš Staněk 33 537 Spezialisten auf, die in Böhmen, Mähren und Schlesien geblieben sind. Diese Personen durften ihre 53 103 Familienmitglieder im Land behalten, so dass die Summe der Spezialisten und ihrer Familienmitglieder zum 1. November 1946 noch 86 640 Personen betrug. Diese Zahl ist sicherlich nicht endgültig, viele Familien wurden später 1947 vertrieben; zeigt aber bereits einen beträchtlichen proportionalen Unterschied zwischen Gruppen von Antifaschisten, Spezialisten und Mischehen.

Diese Leute, Spezialisten, waren für die Aufrechterhaltung der Wirtschaft in der Nachkriegszeit unabdingbar. Ihr Know-how war wichtiger als die ethnische Säuberung nach dem Krieg. Die Größe dieser Gruppe war je nach wirtschaftlicher Situation der einzelnen Branchen sehr unterschiedlich. Von Anfang an wurde beschlossen, Arbeiter in Schlüsselbereichen wie Kraftwerken, Papierfabriken, Chemiefabriken und Maschinenräumen zu halten. Unter anderem kann man bestimmte Sektoren einbeziehen, mit denen die Tschechen historisch wenig Erfahrung hatten und daher deutsche Arbeiter benötigten, um die Tätigkeit aufzunehmen. Diese Kategorie umfasste Porzellanfabriken, Glashütten, Musikinstrumentenherstellung, Schmuckherstellung, Textilien, viele Minen und Eisenhütten. Regional wurden Arbeitskräfte aus scheinbar weniger spezialisierten Sektoren wie Förster und Landwirte benötigt, insbesondere in den Vorgebirgen. Hier kann man beispielsweise das Vorland des Riesengebirges nennen. Die Besonderheiten der Vorgebirge, der Mangel an Arbeitskräften und die starken Schäden, die durch starke Winde im Winter 1945/46 verursacht wurden, erforderten die Aussetzung vieler geplanter Vertreibungen, teilweise seit dem Sommer 1945. In diesem Sommer erwiesen sich die Abhängigkeit und die Zerstörung der tschechoslowakischen Wirtschaft als am stärksten. Montage ohne Strom waren üblich und der Mangel an Arbeitskräften führte zu Engpässen bei der Versorgung mit Kohle, Papier, Kleidung und Maschinen. Darüber hinaus wurden materielle Mängel durch die anhaltende Vertreibung verschärft, die zu einem ständigen Abfluss von Arbeitskräften führte, was einen Niedergang der tschechoslowakischen Wirtschaft nach sich zog.

Während des Wechsels vom Sommer zum Herbst 1945 eskalierte die Situation aufgrund der Notwendigkeit, landwirtschaftliche Nutzpflanzen zu ernten. Aber die Situation verbesserte sich auch 1946 nicht. Mehr als Maschinen fehlte die menschliche Arbeitskraft. Obwohl Unternehmen nachweislich bezahlte Teilzeitjobs organisierten, konnten sie die durch den Abfluss von Arbeitern verursachten Mängel langfristig nicht kompensieren. Die Behörden forderten daher Hilfe im Landesinneren Böhmens und der gesamten Slowakei an. Hunderte von Familien gingen in die Grenzgebiete, um nach den vertriebenen Deutschen Arbeitsplätze und Wohnungen zu besetzen. Die anfängliche Begeisterung verschwand jedoch schnell, weil es nicht genügend Neusiedler gab, und so forderten verstaatlichte Unternehmen selbst lokale und regionale Komitees oder Ministerien auf, die Vertreibungen vorübergehend auszusetzen. Den Deutschen wurden anschließend mit Zustimmung des Arbeitgebers, des Betriebsrat und des Innenministeriums Bescheinigungen ausgestellt, dass sie mit ihren Familienangehörigen bleiben können. Diese Bestätigungen hießen „Legitimation des Ausschlusses von der Vertreibung“. Zur Legitimation gehörten neben einer Identifikationsnummer auch die Anzahl der Familienmitglieder, ihr Alter und ihre berufliche Stellung. So konnten die Behörden genau kontrollieren, wer beim Spezialisten wohnt, damit Familienmitglieder bei Bedarf in andere, notwendigere Berufe versetzt werden konnten. Der Nachteil vieler Ausweise war ihr geplant vorübergehender Charakter. Dies zeigte sich vor allem 1947, als klar war, dass die wirtschaftliche Lage der Tschechoslowakei immer noch sehr schwierig ist und die Grenzregion sicherlich nicht genug neu besiedelt werden wird, um die landwirtschaftlichen und industriellen Bedürfnisse dort zu befriedigen. Trotzdem forderten besonders die Vertreter der Staatssicherheit eine nachträgliche Vertreibung dieser Bewohner. Behörden, Unternehmen und Familiengüter stritten sich mit dem Innenministerium, das die Ausweisung all dieser Spezialisten nachdrücklich forcierte. Sie erinnerten die Arbeitgeber auch nachdrücklich daran, dass sie nicht ausreichend sicherstellten, dass die deutschen Arbeitnehmer den tschechischen Arbeitnehmern so schnell wie möglich beibrachten, sie bei der Arbeit zu ersetzen, damit sie für die tschechoslowakische Industrie nicht mehr unverzichtbar wären. Die nationalen Verwalter widersetzten sich dieser Kritik und wiesen die Schuld dem Mangel an tschechischen Arbeitern zu.

Die wirtschaftliche Situation begann sich erst 1947 zu stabilisieren. Zu diesem Zeitpunkt sollten fast 100 000 Deutsche vertrieben werden, aber die US-Behörden hatten weigerten sich bereits, weitere massive Transfers durchzuführen, die über die zur Familienzusammenführung hinausgingen. Die tschechoslowakische Regierung entschied sich daher für eine andere Lösung, die sogenannte interne Zerstreuung der deutschen Bevölkerung. Aufgrund dieser Streuung mussten die Deutschen ihre Häuser wieder verlassen und zu zugewiesenen Wohn- und Arbeitsplätzen ziehen. Ziel dieser Streuung war es, die Konzentration der deutschsprachigen Bevölkerung in einigen Gebieten zu begrenzen und so mögliche weitere Probleme zu vermeiden. Ein Teil der geordneten internen Streuung war jedoch die bisher relativ wenig erforschte „Aktion J“, die Aktion Jáchymov, bei der mehrere hundert deutsche Familien zur Arbeit in die Jáchymov-Minen geschickt wurden. In den Uranminen wurden deutsche Familien erst nach dem „siegreichen Februar“ durch politische Gefangene ersetzt.
Das Leid der deutschen Bevölkerung endet sicherlich nicht in den 1940er Jahren. Die deutschen Einwohner mussten in den 1950er und teilweise auch in den 1960er Jahren verschiedene Formen der Diskriminierung überstehen. Erst in den 1990er Jahren war es möglich, dieses Thema zu untersuchen, öffentlich zu diskutieren und schrittweise die imaginäre „dreizehnte Kammer“ der tschechischen und slowakischen Geschichte des 20. Jahrhunderts zu öffnen.




Literatur:
ARBURG, Adrian von a Tomáš STANĚK, ed. Vysídlení Němců a proměny českého pohraničí 1945- 1951: dokumenty z českých archivů. I., Češi a Němci do roku 1945 : úvod k edici. Středokluky: Susa, 2010.(celkově vzniklo osm publikací v edici Vysídlení Němců a proměny českého pohraničí 1945- 1951)
ČAPKA, František; SLEZÁK, Lubomír; VACULÍK, Jaroslav. Nové osídlení pohraničí českých zemí po druhé světové válce. Brno: Cerm, 2005.
ČAPKOVÁ, Kateřina, ČAPKOVÁ, Kateřina a David RECHTER, ed. Židé, nebo Němci?: německy mluvící Židé v poválečném Československu, Polsku a Německu. Praha: Nakladatelství Lidové noviny, 2019.
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SMYČKA, Václav. Das Gedăchtnis der Vertreibung: interkulturelle Perspektiven auf deutsche und tschechische Gegenwarts literatur und Erinnerungs kulturen. Bielefeld, 2019.
SPURNÝ, Matěj. Nejsou jako my: česká společnost a menšiny v pohraničí (1945-1960). Praha: Antikomplex, 2011.
SPURNÝ, Matěj, ed. Proměny sudetské krajiny. Praha: Antikomplex, 2006.
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Die Landkarte der ausgesiedelten Deutschen aus dem Gebiet der ehemaligen Tschechoslowakischen Republik

  • Das an Polen angeknüpfte Territorium 1920–1924
  • Das von Ungarn besiedelte Gebiet
  • Die Trennung anstrebende deutsche Provinzen
  • Staatsgebiet der Tschechoslowakei nach Oktober 1938
  • das von Deutschland besetzte Gebiet
  • das von Ungarn besetzte Gebiet
  • das von Polen besetzte Gebiet
  • Gebiet mit der deutschen Mehrheitsbevölkerung
  • Gebiet der „wilden“ Aussiedlung
  • Richtung der „wilden“ Aussiedlung
  • Richtung der Aussiedlung der Deutschen
  • Orte von manchen wesentlichen Ereignissen
  • Hauptzentren der Aussiedlung
  • Die Hauptempfangsstation
  • Evakuierung und Aussiedlung der Deutschen aus der Slowakei
  • Austäusche und Aussiedlung der Ungarn, 1945–1950
  • Die Situation nach der Entstehung der Tschechoslowakei
  • Nach dem Münchner Abkommen, 1938
  • Aussiedlungen
  • 1provincie Deutschböhmen
  • 2provincie Böhmerwaldgau
  • 3provincie Sudetenland
  • 4provincie Deutschsüdmähren

Vertreibung der Deutschen in den Jahren 1930 – 1948

Jahr

1930

  September Juni

Anzahl der deutschsprachigen Bevölkerung

3231
688

Realisationsteam

Besetzung: Ivana Machalová, Irena Kristeková, Jaroslava Košková, Aneta Kalertová, Karolína Půčková, Magdalena Jirounková, Taťána Havlová, Zuzana Částková, Kateřina Zapletalová, Luciána Tomášová, Michaela Schönová, Michal Kern / Dušan Kraus
Regie: Diana Šoltýsová
Dramaturgie: Martin Vokoun
Kostüme und Bühnenbild: Agnieszka Pátá Oldak
Musik: David Hlaváč
Web, Foto, Video: Jarmila Štuková, Patrik Singer, Ondřej Karásek
Bewegungsmitarbeit: Irena Kristeková
Produktion: Andrea Machová, PARTIDA, z.s.

Texte: David Sogel
Übersetzung der Texte: Tomáš Randýsek

Kontakt:
PARTIDA z.s.
Andrea Machová
email: andrea@partida.cz
tel.: +420 775 170 801

Das Projekt wurde vom Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat, von der Landesversammlung der deutschen Vereine in der Tschechischen Republik, e.V. und vom Verband der Deutschen Region Prag und Mittelböhmen e.V. unterstützt